Risikobewertung in einer volatilen Welt – Wie Analysen zum Zahlungsverhalten Scoringmodelle ergänzen

Die weltweite Ausbreitung des Coronavirus und dessen Eindämmung stellen eine erhebliche Herausforderung für Weltbevölkerung, Politik, Volkswirtschaften und Unternehmen dar. Dabei sehen sich Unternehmen mit neuen, bislang völlig unbekannten betrieblichen Risiken konfrontiert. Um sie angemessen zu bewerten, bedarf es einer Erweiterung klassischer Ansätze zur Bewertung von Geschäfts- und Kreditrisiken.

Bewährte Risikomanagementmethoden und Scoringmodelle internationaler Banken und Unternehmen messen die finanzielle Stabilität von Unternehmen weiterhin zuverlässig. Jedoch sind durch die Corona-Krise neue Risiken hinzugekommen, die in klassischen Modellen keine Berücksichtigung finden. Variablen wie beispielsweise Bilanzdaten, Zahlungsströme, Insolvenzen sowie volkswirtschaftliche und demografische Parameter sind unbestritten wichtige Indikatoren, die entscheidende Hinweise auf branchen- und unternehmensspezifische Risiken liefern.

In der Risikobeurteilung finden sie aber immer nur zeitlich verzögert Berücksichtigung: Selbst Unternehmen, die im Prime Standard der Deutschen Börse gelistet sind, berichten nur quartalsweise umfassend, andere nur einmal pro Jahr. Ähnliches gilt in Bezug auf Insolvenzen: Die Aussetzung der Antragspflicht durch die Bundesregierung erschwert derzeit, drohende Zahlungsausfälle zeitnah vorherzusagen. Möglicherweise verzerren zudem die – zumeist durchaus sinnvollen – Hilfsmaßnahmen des Bundes die Lage vieler Unternehmen.

Wenn das Scoring nicht ausreicht – Indikatoren, die volatiler sind

Sinnvoll erscheint gerade in der aktuellen, von vielen Unsicherheiten geprägten Situation, Parameter hinzuzuziehen, die eine Einschätzung so zeitnah wie möglich erlauben. Ein auch kurzfristig aussagekräftiger Indikator ist beispielsweise die Zahlungsmoral von Unternehmen: Banken sehen hauptsächlich Kontobewegungen, also einen Eingang oder eine Belastung zu einem bestimmten Zeitpunkt sowie bestimmte Negativmerkmale wie beispielsweise Rücklastschriften. Was sie nicht sehen, ist das Geschäft dahinter und die Bedingungen, an die das Geschäft geknüpft sind. So geht aus der Kontobewegung nicht hervor, ob eine Rechnung pünktlich beglichen wurde oder ob es hier zu Nachverhandlungen oder einem Verzug gekommen ist.

Der weltweite Zahlungserfahrungspool von Dun & Bradstreet mit über 2. Mrd. Zahlungserfahrungen macht solche Hintergründe transparent. Tagesaktuelle Daten zur Einhaltung beziehungsweise Verfehlung von Zahlungszielen einzelner Unternehmen, aber auch branchen-, regionen- und länderübergreifend, geben Aufschluss, wie das jeweilige Unternehmen, die Branche oder Region dasteht. Insbesondere Veränderungen der Zahlungsgewohnheiten eignen sich als Indikator, um frühzeitig Risiken zu erkennen.

Aber nicht nur im Kreditmanagement sind Zahlungserfahrungen von Interesse, sie dienen auch als Datengrundlage für Modellierung und Identifizierung von Lieferketten nutzen. Sie zeigen auf in welchem Umfeld ein Unternehmen agiert: mit welchen Unternehmen, welchem Unternehmenstypus und in welchen Regionen es typischerweise Geschäfte macht. Auf dieser Basis lässt sich eine differenziertere Risikobetrachtung von Unternehmen liefern, als sie auf Einzelbetrachtungsebene möglich wäre.

Als zunehmend wichtig erweist sich ferner, sogenannte weiche Daten zu berücksichtigen, die frühzeitig Aufschlüsse über risikorelevante Entwicklungen geben. Dabei handelt es sich um unstrukturierte Daten, mittels derer sich über Smart-Data-Modelle Stimmungslagen, allgemeine Entwicklungen und Trends einschätzen lassen. Angesichts der schieren Menge sowie der Heterogenität und unterschiedlichen Granularität solcher Daten aus unterschiedlichen Quellen bedarf es allerdings ausgefeilten statistischen und technischen Know-hows, um zu aussagekräftigen Schlüssen zu gelangen. Eine Konsolidierung entsprechender Entscheidungsparameter ist auch für internationale Banken und Unternehmen ein komplexes Unterfangen. Es bietet sich daher an, eine solche Konsolidierung den Profis zu überlassen, die sowohl auf Seiten des Datenhandlings als auch auf Seite der betriebswirtschaftlichen Anwendung Erfahrungen mitbringen.

Sind klassische Modelle zur Risikobewertung überholt?

Klar ist dabei, dass die Berücksichtigung weicher Kriterien klassische Modelle zur Risikoeinschätzung keineswegs obsolet macht. Sie verlieren nicht an Aussagekraft. So hat ein finanziell stabiles Unternehmen immer noch die besseren Chancen, durch die Krise zu kommen, als ein solches, das sich vorher bereits in einer finanziellen Krise befand. Ebenso ist ein Unternehmen, das schon in der Vergangenheit keine einwandfreie Zahlungsmoral aufwies, risikobehafteter als ein Unternehmen, das vor und während der Krise stets pünktlich zahlt.

Die Einbeziehung bislang nicht klar quantifizierbarer und statistisch auswertbarer Faktoren ist daher in erster Linie als Ergänzung zu den vielfach ausgefeilten Risikomanagementsystemen zu verstehen. Faktoren, die aufgrund des Fehlens von Vergangenheitsdaten noch nicht eindeutig messbar sind, werden dabei als Overlay zu bestehenden Modellen hinzugefügt. Ergebnis ist ein der Situation angepasstes Rating, welches zusätzlich generiert wird. Das Overlay liefert hier zusätzliche Frühwarnindikatoren, die gerade in der aktuellen Situation zur Neubewertung von Risiken führen können.